Die Bedeutung der Suonen
Der Kanal von Torrent Neuf war ursprünglich eine überwiegend hölzerne Wasserleitung, eine sogenannte Suone.
Die historischen Wurzeln solcher von Menschenhand geschaffenen Wasserkanäle reichen bis ins späte Mittelalter zurück. Südtirolbesucher kennen solche Bewässerungskanäle und Gräben als sogenannte Waale. Den Deutschen ist so ein historisches Bewässerungssystem durch das Oberharzer Wasserregal bekannt, einem Weltkulturerbe.
Ihre Funktion besteht stets darin, Wasser von einer Quelle, einem Bach oder vielleicht auch einem See über eine große Entfernung zu einer meist landwirtschaftlich genutzten Fläche zu leiten. Die Grundidee ist dabei der eines Aquädukts nicht unähnlich.
Es kann mehrere Gründe geben, so einen Wasserkanal im Gebirge anzulegen. Hauptsächlich entstand zum Beispiel die Bisse von Torrent Neuf, wie auch andere Suonen im Wallis, aus Wasserknappheit. Das klingt überraschend. Aber in den eigentlich niederschlagsreichen Alpen gibt es auch Täler, die im Regenschatten liegen. Die Gegend von Savièse ist so eine überwiegend trockene Talregion.
Auch insgesamt muss die Landwirtschaft im Wallis in den Tälern aufgrund des Klimas mit wenig Niederschlag auskommen. Viele Sonnenstunden ermöglichen auf der anderen Seite den Weinanbau. Dafür liegen in den hohen Bergen mit den Gletschern noch enorme Wasserspeicher.
Da eine ertragreiche Landwirtschaft über 700 Milliliter Niederschlagsmenge im Jahr erfordert, suchte man schon früh nach Wegen der künstlichen Bewässerung. Suonen wie die Bisse von Torrent Neuf sind über 500 Jahre alt. Vermutungen gehen dahin, dass die Geschichte der ersten Wasserleitungen noch viel weiter zurückreicht, vielleicht sogar bis in die Antike. Insgesamt gibt es im Wallis 400 davon.
Für die Bautätigkeit vor gut 500 Jahren gibt es aber konkrete historische Ursachen. Man weiß, dass die Pestepidemie die Verhältnisse nachhaltig veränderte und die Bauern auf Weidewirtschaft umstellten. In den Städten im Norden Italiens gab es eine zunehmende Nachfrage nach Rindfleisch.
Interessant ist, dass der Aufschwung der Suonen auch mit einer historischen Klimaerwärmung einherging. Vermutlich gab es schon zu dieser Zeit Dürrejahre.
Der Kanal bei Saviése wurde über mehrere Etappen hin erichtet. Hundert Jahre später wurde sogar durch eine Felswand hindurch gegraben, um den Kanal zu erweitern. Durch das alpine Gelände war eine ständige Instandhaltung der Suonen nötig.
Eine größere Bautätigkeit fand dann erst wieder ab dem 19. Jahrhundert statt. Nun verschwinden die historischen Holzaquädukte langsam und werden durch moderne Tunnelsysteme ersetzt, so auch bei der Bisse von Torrent Neuf im Jahr 1934.
Besonders spannend ist bis heute die Rolle der Suonen für die Entwicklung von Demokratie und eines modernen Verwaltungssystems. Denn ihr Bau und ihr Unterhalt erforderten ein großes gemeinschaftliches Handeln. Zudem mussten die Wasserrechte genau geregelt werden. So haben die historischen Wasserkanäle als Lebensadern auch das gesellschaftliche Verhalten nachhaltig beeinflusst.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer enormen historischen Bedeutung hat sich 2005 ein Verein für die Erhaltung der Bisse du Torrent Neuf (Association Pour la Sauvegarde du Torrent Neuf) gegründet. Dank des ehrenamtlichen Engagements vor Ort ist die Suone von Torrent Neuf heute nach teilweiser Rekonstruktion ein Touristenziel allerersten Ranges.